Entwickler von Ostalb-Startups sitzen in Kiew fest - "Wir wollen und wir werden helfen"
Zwei Startup-Unternehmen wollen ihre IT-Entwickler in der Ukraine nicht im Stich lassen
Aalen, 15.03.2022 – Der Krieg in der Ukraine trifft sie mitten ins Mark ihrer jungen Unternehmen in Aalen und Essingen: Sandra Jörg und Peter Fausel sind mit ihren Startups in der IT-Branche tätig, die Entwickler hingegen, die für sie arbeiten, sitzen in Kiew. An ein Arbeiten ist in der ukrainischen Hauptstadt aber längst nicht mehr zu denken. Die Mitarbeiter der beiden Aalener Firmen verbringen einen Großteil ihrer Zeit zum Schutz vor den russischen Bombardierungen vielmehr in Kellerbunkern und Tiefgaragen. Und kämpfen, wie ihr ganzes persönliches Umfeld, mittlerweile ums tägliche Überleben. Jörg und Fausel haben deshalb beschlossen, den bedrohten Mitarbeitern zu helfen.
Mit der Tools4Vision GmbH und dem Produkt Divery entwickeln Peter Fausel und seine Kollegen eine Softwarebranchenlösung für die administrative Verwaltung von Tauchcentern, Tauchresorts und Tauchshops. Divery ist eine mehrsprachige Management-Lösung für alle Tauchcenter, Tauchshops und Tauchschulen weltweit mit Implementierung des europäischen Kopernikus-Satelliten. Kernelement ist eine cloudbasierte Software, die sämtliche Prozesse, Arbeitsabläufe, die Kunden- und Personalverwaltung sowie Terminbuchungen und Warenwirtschaft automatisiert. Die sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, welche die IT dafür entwickeln, sitzen allesamt in Kiew. Ausfall derzeit wegen des Krieges: hundert Prozent.
Sandra Jörgs Startup Blackpin im Innovationszentrum auf dem Aalener Hochschulcampus Burren bietet über eine mobile Business App für Unternehmen und Institutionen einen sicheren Messenger-Dienst mit Transaktionsmöglichkeiten an. Und produziert als Blackpin TV zweimal im Monat Interviews mit, so die eigene Aussage, „spannenden Persönlichkeiten“ zu aktuellen und herausfordernden Themen. Sieben IT-Entwickler arbeiten derzeit für Blackpin, zwei davon in Kiew. Ausfall also derzeit wegen des Krieges: knapp ein Drittel.
Rund 200.000 IT-Entwickler sind in „Friedenszeiten“ von der Ukraine aus für Unternehmen und Kunden in Europa und auf der ganzen Welt tätig. Sie seien top ausgebildet, hätten dasselbe Qualitätsverständnis wie in Deutschland und seien schnell, kompetent und absolut zuverlässig, sagt Sandra Jörg. Allerdings zu deutlich günstigeren Konditionen wie deutsche IT-Entwickler. Der deutsche Markt der IT-Entwicklung, so erklärt Peter Fausel, sei mittlerweile so teuer, „dass wir als Startups das gar nicht mehr bezahlen können“. Außerdem sei der IT-Entwicklungsmarkt in Deutschland derzeit absolut leergefegt, weil in Folge der Corona-Pandemie inzwischen jedes Unternehmen auf die Digitalisierung aufspringe.
Jetzt macht der Krieg Russlands gegen die Ukraine auch den beiden Ostalb-Unternehmen das Leben „brutal schwer“, wie Jörg und Fausel sagen. Statt darüber zu lamentieren, haben die beiden aber beschlossen, ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und deren persönlichem Umfeld in der Ukraine zu helfen. „Als Startups können wir keine große finanzielle Hilfe leisten“, sagt Jörg. Man könne aber die eigenen Kontakte und Netzwerke hier auf der Ostalb nutzen, um solche Hilfen anzustoßen und zu vermitteln. „Was wir dort helfen, fließt indirekt auch wieder in unsere Region zurück“, ist Fausel überzeugt.
Kateryna Matvieieva ist eine der Softwareentwicklerinnen in Kiew, die für beide Unternehmen arbeitet. Die größte Hilfe für sie alle sei, in Deutschland nachhaltig unter die Menschen bringen, was in der Ukraine derzeit wirklich passiere, was der Krieg Russlands den Menschen dort antue, erklärt sie in einer Live-Schalte von Jörgs Büro aus nach Kiew. Und den Menschen auch in Deutschland, so betont Kateryna nachhaltig, müsse bewusst werden, dass Putins Krieg eigentlich ein Krieg gegen Europa sei. „Wir in der Ukraine setzen uns für dieselben Werte wie ganz Europa ein – deshalb stehen wir jetzt an der vordersten Front“, macht die junge Frau in Kiew deutlich.
Und schildert in fließendem Englisch dann, welches Leid dort durch die russischen Angriffe vor allem auf die Zivilbevölkerung hereingebrochen sei. Was es bedeute, wenn einzelne Zivilisten gezielt attackiert, ganze Wohnblocks zusammengebombt und sogar Krankenhäuser direktangegriffen würden. Und weshalb vor diesem Hintergrund auch Deutschland seinen Druck auf Putins Russland noch erhöhen müsse – auch durch einen Boykottrussischer Öl- und Gasimporte, wie Kateryna überzeugt ist.
Neben aller notwendigen politischen, gesellschaftlichen und moralischen Unterstützung, die das ukrainische Volk derzeit dringend brauche, listet Kateryna aber auch ganz konkret Hilfsgüter auf, die für die Menschen in Kiew derzeit nötig seien: Humanitäre und medizinische Versorgungsgüter, allen voran zur Wundversorgung, stehen ganz oben auf Katerynas Liste. Aber auch Helme, Schutzausrüstung und Funkgeräte (Walkie-Talkies). Denn daran lässt Kateryna keinen Zweifel: Die ukrainischen Männer auch außerhalb der Armee seien weiterhin fest entschlossen, ihre Heimat zu verteidigen und zu beschützen. Und dafür bräuchten sie die notwendige Ausstattung.
„Wir rufen alle Organisationen, Institutionen und Unternehmen, die etwas entbehren oder spenden können, dazu auf, unser Anliegen zu unterstützen“, sagt Sandra Jörg. Kateryna Matvieieva hat inzwischen einen Weg über Polen aufgebaut, mit dem garantiert sei, dass die Hilfe auch bei ihrin Kiew ankomme. „Wir wollen und werden helfen und dazu alle uns zu Verfügung stehenden Kanäle nutzen“, versprechen Sandra Jörg und Peter Fausel noch einmal, ehe sich die trotz allem so positiv und zuversichtlich wirkende Kateryna auf dem Laptop-Bildschirm wieder in ihren fürchterlichen Krieg verabschiedet.