Im Gespräch: Sandra Jörg
IT-Sicherheit ist in den letzten Jahren endgültig von einem nachgeordneten zu dem zentralen IT-Thema geworden. Das betrifft immer stärker auch den Bereich Kommunikation. Die Unbeschwertheit, mit der in früheren Jahren Dienste wie Social-Media-Plattformen und Messenger eingesetzt wurden, ist verflogen.
COLD PERFECTION sprach mit Sandra Jörg, Gründerin und CEO von Blackpin (Bildmitte). Mit dem von ihr gegründeten Unternehmen will die Expertin für Digitale Produktentwicklung und Marketing das mobile Teamwork in Firmen einfacher machen und den Menschen zugleich das Vertrauen in Messenger-Apps zurückgeben.
Dahinter verbirgt sich eine komplexe Designaufgabe, zu der neben dem Application Design und Aspekten der Benutzerfreundlichkeit auch die Frage gehört, wie man technologischen Alleinstellungsmerkmalen durch eine angemessene grafische Gestaltung Ausdruck verleiht.
CP: Was hat Sie ursprünglich bewogen, ein Unternehmen für sichere, verschlüsselte Kommunikation zu gründen? Können Sie sich noch an den einen zündenden Moment erinnern?
Sandra Jörg: Ehrlich gesagt gab es nicht den einen zündenden Moment. Angefangen hat alles in Israel, als ich vor vier Jahren sah, wie dort Messenger wie WhatsApp von Unternehmen genutzt werden. Mitarbeiter hatten teilweise über 500 Gruppen, weil versucht wurde, in einem offenen Communitymessenger eine Firmenstruktur abzubilden. So entstand die Idee für einen Business Messenger, der sich in seinen Features von WhatsApp & Co. unterscheiden sollte. Er sollte Funktionen haben, die es Firmen und Organisationen erleichtern, eine unkomplizierte mobile und asynchrone Kommunikation zu führen. Das Verwalten der einzelnen Teams sollte einfach und schnell gehen, dafür mussten Strukturen und Features entwickelt werden.
Wir haben zahlreiche Betatester wie Banken, Krankenhäuser oder mittelständische Firmen gefunden, mit denen wir anhand ihrer Usecases das Produkt konzipiert haben. Frühzeitig stellte sich heraus, wie wichtig unseren angehenden Kunden der Aspekt Sicherheit ist. Darauf haben wir reagiert. Wir beschlossen, eine absolut geschlossene App zu bauen, für niemanden einsehbar. Die App wurde deshalb DSGVO-konform nach höchsten Sicherheitsstandards verschlüsselt, sodass sie allen Sicherheitsbestimmungen aller Branchen gerecht werden kann.
CP: Für Ihr Produkt setzen Sie auf ein an die 70er-Jahre erinnerndes Farbschema. Was kam zuerst: das Konzept für das auffällige Grafikdesign oder der technische Unterbau?
Sandra Jörg: Die Marke Blackpin und somit auch das Design entstand vor der Entwicklung des Produktes. Wir hatten viele Jahre zuvor schon Mock-ups und einen Dummy von der App entwickelt, um erstmal für uns, dann für unsere Entwickler und unsere potenziellen Kunden die Vision der App zu veranschaulichen.
Es ist meiner Meinung nach sehr wichtig, dass jeder innerhalb des Projektteams weiß, wie das Produkt nachher aussehen und sich anfühlen soll. Das optische Erscheinungsbild ist maßgeblich, um sich mit dem gesamten Projekt zu identifizieren. Schon beim Gewinnen der Mitarbeiter, Partner, Investoren, etc. muss ein Design überzeugen. Es muss das versprechen, was am Ende gehalten werden soll. Deswegen steht die Entwicklung von Corporate Identity beziehungsweise Corporate Design an erster Stelle in der Entwicklungskette eines digitalen Produktes.
CP: Reduktionismus scheint im Zentrum der Ästhetik von Blackpin zu stehen. Wie würden Sie Ihre eigene Design-Philosophie beschreiben und welcher Bestandteil Ihrer Arbeit spiegelt diese am besten wider?
Sandra Jörg: Ja, das haben sie richtig erkannt. Die Zielsetzung war, sich möglichst zurückzuziehen in Bezug auf die Optik der App und des gesamten Brands, da unsere Kunden sich mit ihrer Marke leicht in dieser neutralen Designwelt integrieren sollten. Jedoch darf unsere Marke dadurch nicht vollkommen unsichtbar werden.
Die Herausforderung war groß, da wir dennoch einen starken Brand wollten, der Sicherheit, Vertrauen und Stärke ausstrahlt – sich aber zugleich zurücknimmt. Aus diesem Grund entschieden wir uns für Schwarz. Das komplette Design der App ist überwiegend schwarz, nur in weißen hauchfeinen Linien zeigt sich die Schrift, Icons und Formwelten. Es sollte die Inhalte, die über unsere App kommuniziert werden, in den Mittelpunkt stellen.
Auf eine bunte Farbwelt haben wir trotzdem nicht verzichtet. Beim Anlegen sogenannter Chatcards – Themengruppen – können die User auf eine an die 70er-Jahre angelehnte warme Farbpalette zurückgreifen, die Vertrauenswürdigkeit ausstrahlen soll. Die Hintergründe der Chatcards, die der besseren Orientierung und Clusterung von Themenwelten dienen, sind frei wählbar.
CP: Was ist für Sie die größere Herausforderung: Produktentwicklung und Design mit Aspekten wie Application Design, Screen- beziehungsweise Grafikdesign, User Experience und Usability auf der einen Seite oder Vermarktung auf der anderen? Und was davon favorisieren Sie?
Sandra Jörg: Ich bin Creative Directorin. In meiner Natur liegt es, Dinge zu kreieren. Ich liebe es, Neues zu erschaffen und live dabei zu sein, wenn etwas heranwächst und nach und nach seine Form annimmt. Es ist meist ein langer Prozess. Ein gut durchdachtes Produktdesign dauert meiner Meinung nach mindestens sechs Monate.
CP: Wie sieht bei Ihnen der kreative Prozess aus? Erarbeiten Sie zunächst etwas für sich allein, um es dann gemeinsam im Team weiterzuentwickeln?
Sandra Jörg: Da meine Stärken eindeutig in der Strategie und Konzeption liegen, und diese die ersten Schritte im Gesamtprozess einer Designentwicklung sind, bin ich meistens diejenige, die die Idee erst einmal alleine im Kopf entwickelt. Ich definiere die Zielsetzung des Designs. Was soll es bewirken? Für was steht die Marke, das Produkt? Für welche Zielgruppe? Wie sieht das Wettbewerbsumfeld aus, was sind die Alleinstellungsmerkmale des Produktes?
Ich mache dann Moodboards und erarbeite anschließend einen groben Styleguide. Der enthält Farbwelten, Formen, Impressionen und Moodbilder, Iconbeispiele, Schriften und vieles mehr. So forme ich nach und nach einen Style für ein Produkt.
Erst wenn das steht, beginnt die konkrete Umsetzungsphase. Ich suche mir einen Art Director aus meinem großen Netzwerk aus Freelancern, welches ich in den letzten 20 Jahren aufgebaut habe, und wähle mir genau denjenigen aus, der in der Lage ist, dieses Design umzusetzen. Gemeinsam arbeiten wir dann die konkreten nächsten Schritte ab, die in meinem Kopf bereits visualisiert sind.
CP: Was brauchen Sie um sich herum, um optimal arbeiten zu können?
Sandra Jörg: Die Basis ist Ordnung, um Freiraum für Ideen in meinem Kopf zu haben. Darum fängt mein Tag zumeist mit Aufräumen an. In meinem Büro darf nichts herumstehen, was da nicht hingehört. Nur dann kann ich loslegen. Ansonsten brauche ich nicht viel. Einen Rechner, Kaffee und Google für Recherchen und Inspirationen. Daher kann ich von überall aus arbeiten, eben nur aufgeräumt muss es sein.
CP: Welche gestalterischen Ausdrucksformen jenseits von Application Design und Grafikdesign interessieren Sie und wovon lassen Sie sich inspirieren?
Sandra Jörg: Ganz klar Architektur. Ich glaube, in einem vorherigen Leben war ich Architektin, und sollte dies nicht der Fall gewesen sein, dann werde ich es bestimmt im nächsten. Ich liebe es, Räume zu schaffen mit unterschiedlichen Oberflächen und Formen und zu beobachten wie sich das eigene Raumgefühl verändert.
Architektur ist dreidimensional und greifbar. Man kann tief eintauchen. Das schafft einen anderen Bezug zum Design, einen realeren. Oberflächen können im Vergleich zu digitalem Design haptisch erlebbar gemacht werden. Ich liebe die Mischung aus grauem Beton, Naturstein, altem Holz, Wasser und Glas …
Außerdem habe ich noch einen Lampen-Fetisch, der sich natürlich hervorragend mit meiner Liebe zur Architektur verbinden lässt.
CP: Frau Jörg, wir danken Ihnen für die interessanten Einblicke.