Interview: Blackpin - Schlüsselindustrie neu definiert
Wir leben in bewegten und in mancherlei Hinsicht beunruhigenden Zeiten: Während man anderswo in der Welt im Eiltempo digitale Tatsachen schafft, leistet sich Europa eine Selbstlähmung von historischem Ausmaß. Endlos arbeitet man sich an Absurditäten wie dem Brexit ab und führt Diskussionen um ein Relikt früheren industriellen Glanzes: den Dieselmotor. Doch bei fast allem, was für die Digitalisierung unerlässlich ist – Hardware, Software, Netzwerktechnik – ist man nach wie vor ein vom Ausland abhängiger Zwerg. Die Diskussion um Spionagerisiken im Zusammenhang mit dem Aufbau des 5G-Netzes hat das zuletzt erneut verdeutlicht.
Defätismus ist dennoch fehl am Platz. Es gibt sogar Beobachter, die Deutschland gute Chancen einräumen, mittels eines digitalen „Made in Germany“-Qualitätssiegels für Datensicherheit Zukunftsmärkte erobern zu können. In die Karten spielt, dass die vorzugsweise aus den USA stammenden Dienste wie Messenger oder Social-Media-Plattformen, die unsere Kommunikation seit Jahren prägen, ihre Unschuld verloren haben. Immer mehr Menschen wollen wissen, wo ihre Daten landen. Um wie viel brisanter ist das Thema erst für Unternehmen, deren Daten nichts anderes sind als das Äquivalent von Umsatzerlösen und Arbeitsplätzen …
Das 2016 in Baden-Württemberg gegründete Startup Blackpin nutzt bereits die Gunst der Stunde: Unter dem Motto „Protected Mobile Teamwork“ will man die Kommunikation per Smartphone-App wieder sicher machen. Blackpin setzt auf den Standort Deutschland und auf höchste Verschlüsselungsstandards, was Mitbewerber in Erklärungsnot bringen dürfte. Wir sprachen exklusiv mit Sandra Jörg, Gründerin und CEO von Blackpin.
RGBMAG: Frau Jörg, in einigen Ländern ist die Angst vor Cyberangriffen mittlerweile größer als die vor dem Klimawandel [1]. Nahezu täglich wird über Datenlecks und Skandale berichtet und zunehmend sind darin Anbieter verwickelt, denen viele ihre intimsten Geheimnisse anvertrauen. Aktuell kommt etwa das britische Parlament nach 18-monatiger Untersuchung zu dem Schluss, dass Facebook absichtlich Datenmissbrauch betreibt. Der Ausschuss-Vorsitzende Damian Collins nahm kein Blatt vor den Mund und sprach von „Digital Gangsters“ [2].
Wir möchten keineswegs unterstellen, dass man sich bei Ihnen darüber heimlich freut. Allerdings darf man wohl davon ausgehen, dass Ihnen Akteure wie Mark Zuckerberg den Markt bereiten und Unternehmen wie Blackpin im doppelten Wortsinn zu einer neuen Schlüsselindustrie machen.
Sandra Jörg: In der Tat machen es uns gerade große, digital aufgestellte US-amerikanische Unternehmen leicht, unser Produkt für sich sprechen zu lassen. Die Verschlüsselung von Daten wird in der Zukunft der Schlüssel zum Erfolg sein. Es herrscht große Verunsicherung in Unternehmen, wenn es darum geht, wem man seine Daten künftig sicher anvertrauen kann.
Spätestens seit der neuen Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sind alle Unternehmen angehalten, sich in Sachen Datenschutz abzusichern. Der Druck steigt! In vielen Branchen, wie zum Beispiel der Medizinbranche, ist es schlichtweg verboten, Dienste wie WhatsApp zu nutzen.
RGBMAG: Beschreiben Sie unseren Lesern bitte den Unterschied zwischen einem herkömmlichen Messenger – Sie haben das Beispiel WhatsApp bereits erwähnt – und Ihrer als besonders sicher beworbenen App.
Sandra Jörg: Blackpin ist „END-2-END“-verschlüsselt. Wir verschlüsseln nach höchstem AES256-Standard im Chatbereich, in unserer Cloud werden alle Daten nach medizinischen Anforderungen verschlüsselt, welche die höchsten am Markt sind. Unsere Anwendung ist außerdem komplett geschlossen und weder von uns noch von dritten Personen einsehbar. Auf den privaten Schlüssel des Benutzers haben wir keinen Zugriff.
RGBMAG: Und die Server stehen in Deutschland?
Sandra Jörg: Ja, denn Blackpin bedeutet grundsätzlich „Made and hosted in Germany“ sowie „Datastorage in Germany“. Durch unseren strategischen Partner Telepaxx, der seit 20 Jahren europäischer Marktführer in der Verschlüsselung hochsensibler medizinischer Daten ist, haben wir hier einen großen Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus verfügen wir durch Telepaxx über eine staatlich anerkannte deutsche Zertifizierung, welches ein zusätzliches Argument beim Archivieren der Daten liefert.
RGBMAG: Was sind die typischen Einsatzgebiete von Blackpin – und gibt es daneben Anwendungsfälle, die erst jetzt, wo die Sicherheit stimmt, möglich werden?
Sandra Jörg: Unsere Zielgruppe sind alle Branchen, die sicher kommunizieren und sensible Daten mobil versenden möchten. Wir richten uns im ersten Schritt, Launch-Termin ist das zweite Quartal 2019, an die Medizin- und Finanzbranche. Dort sind die Vorschriften hinsichtlich zertifizierter Standards bei der Kommunikation am strengsten. Wenn wir es schaffen, glaubwürdig in diesen sensiblen Branchen zu bestehen, glauben wir, dass wir auch in allen anderen Branchen einen leichten Markteintritt haben werden – nach dem Motto: „If I can make it there, I’ll make it anywhere.“
Wir haben heute schon Anfragen aus unterschiedlichsten Branchen: KMU, Konzerne, Startups, Organisationen und Vereine. Anwendungsfälle gibt es in allen Branchen zu genüge. Es wird nun beispielsweise möglich sein, dass Ärzte sich in einem legalen virtuellen Umfeld fachlich austauschen. So können Ärzte in ländlichen Regionen sich Fachwissen auf legalem Wege aus großen Kliniken holen und ihre Befunde teilen.
RGBMAG: Nehmen wir mal an, dass Ihnen Frank Sinatra Glück bringen und die Einführung erfolgreich verlaufen wird. Wie geht es dann weiter? Sie haben ja bereits angekündigt, Blackpin zu einer internationalen Transaktionsplattform ausbauen zu wollen. Können Sie hierzu schon etwas Genaueres sagen?
Sandra Jörg: Blackpin als Messenger ist lediglich der erste Schritt in unserem „Big Picture“. Er soll die Basis für schnelle effektive mobile Kommunikation sein. Doch schon bald werden Messenger auch als Transaktionsplattform genutzt werden. WeChat in China lebt es vor. Die Plattform nutzen heute über eine Milliarde Chinesen. Seit Juli 2017 bietet sie die Erweiterung „WeChatPay“. Wir planen eine Blockchain-basierte mobile Transaktionsplattform mit innovativen neuen Payment-Modellen, auch „Smart Contracting“ genannt, bis Anfang 2020.
Es wird zukünftig möglich sein, Dienstleistungen und Produkte direkt innerhalb unserer Plattform abzurechnen. So werden in Zukunft Ärzte oder Coaches in der Lage sein, mit einer Messenger-App virtuelle Beratungsgespräche durchzuführen und gleich abzurechnen.
RGBMAG: Das Stichwort China ist gefallen. In anderen Teilen der Welt wartet man genauso wenig auf Europa und prescht stattdessen entschlossen voran. Sie selbst lebten vor der Gründung von Blackpin lange in Israel. Das Land gilt bei vielen Hightech-Themen als weltweit führend. Was ist für Sie die wichtigste Lernerfahrung aus dieser Zeit?
Sandra Jörg: Ja, ich habe 7 Jahre in Israel gelebt und bin dort recht schnell in die Startup-Szene reingerutscht. Ich habe mich binnen kürzester Zeit vernetzt. Wenn man in Israel einen kennt, kennt man alle. Der Vernetzungsgedanke wird extrem gelebt. Man ist in ständigem Austausch mit anderen Spezialisten zu seinen Themen. Hier in Deutschland ist es so, wenn jemand eine Idee hat, wird erstmal eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben. Man ist misstrauisch, dass einem die Idee geklaut wird. In Israel ist das absolut nicht so. Austausch macht schlau.
Israelis arbeiten sehr effektiv. So habe ich beispielsweise gelernt, entgegen meiner Arbeitsmoral immer nur 90 Prozent zu geben, da die letzten zehn Prozent um ein Vielfaches mehr Zeit kosten, als die 90 Prozent davor. Wenn ich also mit einer Idee auf den Markt gehe, dann ist sie nur zu 90 Prozent finalisiert. Ich teile diese Idee mit Spezialisten, die auf Basis ihres Know-hows ihr Feedback geben. So nutzt man das Netzwerk für die fehlenden, aber entscheidenden zehn Prozent – und das kostenlos.
RGBMAG: Ist die Idee für Ihre App in Israel entstanden?
Sandra Jörg: Ganz genau. Ich sah schon früh, vor vielen Jahren, wie Whatsapp im B2B-Bereich in Israel eingesetzt wird und ahnte, dass diese Entwicklung das Kommunikationsverhalten in Zukunft massiv verändern würde. Weg von der Telefonie hin zur asynchronen mobilen Kommunikation. Doch der Rahmen dafür fehlte noch. Teilweise hatten Kollegen von mir über 1000 Gruppen angelegt – das konnte man nicht mehr überschauen. Eine B2B-Lösung musste her, um dieses Durcheinander zu ordnen. Erst im Anschluss kam durch viele Gespräche und den Austausch mit Firmen und Fachleuten das große Bedürfnis, sich auch mit den Sicherheitsaspekten zu befassen.
RGBMAG: Sie werben zusammen mit Ihren sechs Mitstreitern damit, über 150 Jahre Erfahrung zu verfügen. Zum Produkt passt das sicher gut, für ein Startup ist es ungewöhnlich …
Sandra Jörg: Ja, das betonen wir tatsächlich, denn wir sehen uns nicht als Startup – eher als Sicherheitsexperten-Team, welches sich dieses Themas annimmt. Mirko Ross, unser CTO ist beispielsweise beratender Experte der European Union Agency for Network and Information Security (ENISA) und Mitglied der Alliance for the Internet of Things Innovation – Blockchain (AIOTI). Regine Haschka-Helmer ist IOTA Foundation Advisor (die IOTA Foundation ist die erste Stiftung Deutschlands, die auf einer Kryptowährung basiert, Anm. d. Red.). Wir haben alle in unseren Branchen viele Jahre Erfahrung.
RGBMAG: Hätten Sie Tipps für junge Menschen, die noch wenig oder gar keine Erfahrung haben und ebenfalls gern ein Startup gründen würden?
Sandra Jörg: Zunächst einmal braucht man offensichtlich eine Idee für ein Produkt beziehungsweise einen Service, welcher ein Marktbedürfnis anspricht. Hier muss man sich genau fragen, was das Problem ist, das man lösen will. Gibt es eine Zielgruppe? Wie sieht der Wettbewerb aus? Haben wir Alleinstellungsmerkmale?
RGBMAG: Innovation ist demzufolge die Grundvoraussetzung?
Sandra Jörg: Es kommt darauf an, wie man den Begriff definiert. Blackpin ist von all meinen digitalen Projekten technologisch gesehen vielleicht am wenigsten innovativ. Trotzdem adressiert die App eine echte Marktlücke. Das war mein Learning der letzten zwei Jahrzehnte: am Marktbedürfnis entlang eine Idee zum Leben zu erwecken. Why this, why you, why now? Ist der Markt reif dafür?
Und natürlich gehört viel Mut dazu. Auch der Mut, Fehler zu machen, um daraus zu lernen. Die offene Fehlerkultur, im englischen „Error Culture“ oder „Fail Forward“ ist in unserem Unternehmen gewünscht und wird sogar gefördert. Um das Problem zu erkennen und die passende Lösung zu finden, benötigt man Vertrauen in sich selbst und in sein Team.
RGBMAG: Frau Jörg, wir danken Ihnen für die sozusagen unverschlüsselten Einblicke in Ihre Arbeit und wünschen Ihnen und Ihrem Team guten Erfolg. Es wäre gewiss zum Wohle unseres Landes.
Die Fragen stellte Michael Graef.
Weitere Informationen:
Blackpin GmbH
www.blackpin.de
Quellen:
[1] https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-studie-1.4323957
[2] https://www.dw.com/de/britische-abgeordnete-fordern-strenge-überwachung-von-facebook/a-47568676
Veröffentlichungsdatum: 8. März 2019